„Ich Marke, du Konsument“: Die klassischer Marketing-Denkschulen ist überholt
Die Millennials verändern nicht nur die Hierarchien in Unternehmen, sondern auch den Konsum. Marken müssen neu gedacht und erlebbar werden. Sonst verlieren sie an Bedeutung.
Die aktuell in Führungspositionen von Unternehmen drängenden Millennials zeichnen sich dadurch aus, dass sie viele Optionen für ihre Lebensgestaltung haben, sich des „War for Talents“ durchaus bewusst sind und deshalb offen, flexibel und selbstbestimmend bewerten, ob etwas für sie attraktiv ist oder nicht. Multioptionalität ist eine generationentypische Herangehensweise und trägt die Handschrift der Ypsiloner und ihrer jüngeren Geschwister der Gen Z. Und auch das ständige Hinterfragen, Mitteilen, Teilen (Sharing) und Ausdiskutieren. What’s in it for me? Solche Grundeinstellungen haben selbstverständlich auch Auswirkungen auf das Erleben von Marken. Und die Markenloyalität.
Die Modelle klassischer Marketing-Denkschulen haben mehr oder weniger stark die Marke in den Mittelpunkt gestellt: Die Marke als das Maß aller Dinge. Nicht der Mensch, nicht der Konsument. Marketing-Strategen der „alten Garde“ gingen bis nach der Jahrtausendwende von einer „Strategie der Stärke“ aus: Je stärker und prägnanter eine Marke eine Kategorie dominiert, desto weniger angreifbar erscheint sie. Desto prägender und handlungsrelevanter ist sie für die Konsumenten.
Mit der Digitalisierung und der davon nicht unberührten Generationenwende bieten für die neuen Verbraucher aus Gen YZ auch heute noch starke Marken grundsätzlich Verbraucherorientierung. Marktführer definieren in ihren jeweiligen Märkten immer noch Weltanschauungen und sind Ausdruck eines damit verbundenen Kategorienutzens: Coca Cola als Synonym für Cola, Red Bull als Category Player für Energy Drinks, Amazon als „der“ globale Online-Versandhändler, Nutella steht für Originalität und Nutella – und eben nicht nur für Nuss-Nougat-Creme. Starke Marken setzen Ankerpunkte. Wie auch andere Signale des Alltags: Verkehrsschilder, Smilies, Weihnachten, Oktoberfest, Regenschirme, Flüchtlinge… Starke Marken „markieren“ zunächst einmal. Sofern ihre Symbolik klar, relevant und für uns attraktiv genug erscheint.
Vom Ende der Markenloyalität
Das größte Manko vieler „alter“ Markenmodelle ist, dass bei der Beschreibung einer Markenbeziehung die Marke in den Mittelpunkt gerückt wurde – und nicht der Konsument. Im Mittelpunkt der Betrachtung zu sein, gehört aber für die Ypsiloner zu deren zentralen Wesensmerkmalen. Mit ihrem Bedeutungszuwachs erfolgt auch bei den Konsumenten eine Revolution auf leisen Sohlen. Und das gilt in Konsequenz auch für die Interaktion zwischen Mensch, Marke und Medium.
Alte „Ich-Marken-Strategien“ haben bei GenYZ auf kurz oder lang ausgedient: Ich Marke, du Konsument! Einbahnstraßen-Marketing. Genauso wenig wie bei diesen Generationen autokratische Erziehungsstile wirken, so wenig wollen sie sich von Marken „von oben herab“ belehren lassen. „Ich-Marken“ sprechen von der Marke herab zum Konsumenten, sagen ihnen über Kommunikation, was sie von Marken zu denken oder zu glauben haben. Gen YZ möchte nicht nur über Werbung im Stile eines „Frontalunterrichts“ belehrt werden, was sie von Marken zu glauben haben. Sie möchten vielmehr selbst die Markenbeziehung mitgestalten. Ernst genommen werden von authentischen Marketingexperten. Keine Ich-Marken mehr, sondern WIR-Marken. Sich selbst auf eine Markenbeziehung einlassen wollen – im Idealfall teilbar sowie erlebnis- und kontextbezogen.
In vielen Branchen spielt deshalb die Marke nicht mehr die zentrale Rolle für Kaufentscheidungen. Orientierung an der „Einzigartigkeit einer Marke“ wird immer schwieriger und immer weniger glaubwürdig. Zudem sinkt die Loyalität des Verbrauchers für Marken seit Jahren unaufhörlich – und die Bedeutung des Preises wird immer wichtiger. Zuviel Austauschbarkeit, zu viel an Marken-Burnout! Entweder es herrscht Unübersichtlichkeit aufgrund vieler austauschbarer Angebote in sog. „Matsch-Märkten“ oder die Dominanz von Rabattaktionen, Preispromotions, Preiseinstiegsmarken.
Marken können zwar weiterhin Ankerpunkte setzen, müssen aber nicht kausal eine Relevanz für den Lebensalltag der Millennials haben. Marken unterstützen die Vielfalt. Und Gen YZ liebt die Vielfalt und die Freiheit, über möglichst viele Optionen entscheiden zu dürfen. Wie bei der Auswahl der Urlaubsreisen, dem Auftragen des allmorgendlichen Make-ups je nach Situation und Stimmung, wie beim Kauf von Markenartikeln. Heute dies, morgen etwas anderes. Ungebunden sein. Marken als Kontext unterstützende Orientierung, aber kein „Unbedingt haben müssen“. Immer eine Option haben. Das Gen Y eigene Pippi-Langstrumpf-Prinzip gilt auch für Markenwahl. Und Markenbindung.
Du hast die Wahl: Marken erleben oder pragmatischer Kauf
Marken haben nur dann eine Chance für eine längerfristige Beziehung zu Gen YZ, wenn es ihnen gelingt, immer wieder mit ihren Konsumenten in Kontakt zu kommen. Immer wieder meint nicht, immer wieder durch dieselbe Leier. Bedeutet nicht, immer wieder durch dieselbe Werbebotschaft. Vielmehr geht es um eine stetige Aktualisierung des Markenerlebens. Marken erleben heißt auch Erlebnisse zu teilen oder teilen zu wollen. Eine Marke erleben zu können, ist aber eine ganzheitliche Marketing-Philosophie. Marken reagieren auf die Bedürfnisse der Menschen, in den Sozialräumen, in denen sie sich bewegen. In den Situationen, die für die Menschen relevant sind, um sich mit ihr überhaupt beschäftigen zu wollen. Starke, erlebnisreiche Marken sind Beziehungsmarken. Sie suchen auf Augenhöhe den Kontakt zum Verbraucher, sie berühren und überraschen als „echte“ Beziehungsmarken mitunter auch die Menschen, die ihnen folgen wollen. Lebendige, erfrischende Erlebniskultur, die uns manchmal auch über die Marke staunen lässt.
Markenerleben wirkt mehrdimensional und muss auf unterschiedlichen Kanälen erlebbar sein. Gerade für die erlebnishungrigen Generationen Y und Z mit ihren vielseitigen Zugängen bieten kontextbezogene Ansprachen Steilvorlagen für spätere Teilbarkeit. „Wenn es relevant ist. Wenn es spannend ist. Was für mich gut ist, kann auch für andere gut sein. Wenn ich „meine Freunde“ über meine Erlebnisse in Kenntnis setze oder auffordere, auch dabei zu sein.
Je stärker es Markenexperten gelingt, bei der Gen YZ soziale Nähe zur Marke aufzubauen, desto intensiver und authentischer erfolgt das Markenerleben. Um Nähe zu generieren, bestehen zahlreiche Optionen. Regionalität ist eine davon. Auch Tradition ist neu interpretiert wieder „im Trend“. Mit regionaler Nähe, Neubewertung von Traditionen (LandLust-Stil) und dem Heroisieren von althergebrachter Handwerkskunst (u.a. Schreiner, Köche, Winzer, Brauer) gewinnen auch spezifische Anlässe immer mehr an Bedeutung: Kontexte definieren Konsumanlässe. Oder anders ausgedrückt: Je besser es Marken situativ gelingt, mit Millennials in Beziehung zu treten, desto mehr werden diese erinnert und irgendwann auch gekauft.
Umso schwieriger für Marken, die „grau“ und blass wirken: Marken, die es zwar gibt, die letztlich aber nur die Auswahl erhöht. Um die Gen YZ keine Träne verschwenden würde, sollten sie von der Bildfläche verschwinden. Denn Gen YZ lieben Wahlmöglichkeiten. Marken mit Neuigkeitswert unterstützen dieses Konsumverhalten. Mit dem Nachteil, dass etwas, was heute „neu“ ist, „voll im Trend“ liegt, morgen auch schon wieder „out“ sein kann. Trends kommen, Trends gehen. Marken sollten da schon beständiger sein. Aber gesucht werden nutzenstiftende Angebote, die exakt in der passenden Situation für die Ypsiloner die passende Lösung bieten.
Ganz konkret: Marken braucht Gen YZ eigentlich nicht. Zumindest nicht in der Unübersichtlichkeit und Austauschbarkeit von heute. Aber Marken brauchen Konsumenten. Und für neue Konsumentengenerationen müssen Branding-Experten heute mehr tun. Sie müssen sich um Gen YZ stärker bemühen und als WIR-Marke den Konsumenten endlich in den Mittelpunkt rücken und ihn teilhaben lassen an den Markengeschichten. Denn was die erlebnishungrigen Verbraucher aus Gen YZ nicht erleben, vergessen sie. Und das schonungslos.
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